Nokia N8 gegen Lumia 920 – Nseries vs. PureView – Shootout auf dem Weihnachtsmarkt
11.12.12 17:31
Eine richtig gute Handy-Kamera? Da kam man jahrelang nicht an Symbian-Geräten vorbei. Nachdem Nokia die Kooperation mit Carl Zeiss eingegangen war, kam praktisch eine Top-Kamera nach der anderen auf den Markt. Exemplarisch genannt seien hier nur das Nokia N73, N95, N82, N86 und das N8. Sogar mit verschiedenen verlustfreien Zoom-Verfahren wurde experimentiert wie zum Beispiel beim N93i mit optischem Zoom und dem 808 PureView mit seiner Oversampling-Technologie, das ich bislang leider noch nicht ausführlich testen konnte.
Dieses Qualitätsmerkmal – PureView – überträgt Nokia jetzt zumindest in den Werbeaussagen erstmals auf ein WindowsPhone und will so mit alten Stärken und neuer Plattform an schon fast vergessene Erfolge anknüpfen. Kann das gelingen? Probieren wir es aus!
___Die Kandidaten
In der silbernen Ecke ein Nokia N8 der ersten Tage, das mittlerweile mehr als 26 Monate Dauereinsatz hinter sich hat, seit dem Erscheinen des 808 PureView auch bekannt als „second best camera phone in the world“. 12 Magapixel auf einem extragroßen Sensor hinter einer hervorragend lichtstarken Zeiss-Optik mit außerordentlich schnellem Autofokus. Ausgestattet mit Extras wie einem starken Xenon-Blitz für die Dunkelheit und einem Graufilter für helle Umgebungen, aber beides wird ihm bei diesem Shootout nichts nützen.
In der roten Ecke ein brandneues Nokia Lumia 920 PureView, das den sämtlichen technischen Raffinessen seines Kontrahenten eigentlich nur eines entgegenzusetzen hat: Einen optischen Bildstabilisator. Und mit dem wird es voll zuschlagen können, denn im Folgenden gibt es nur eine einzige Wettkampf-Kategorie, die Low-Light-Fotografie unbewegter Objekte. Hierbei sollte das Lumia dank seines optischen Stabilisators wesentlich längere Belichtungszeiten erlauben, was zu helleren, rauschärmeren und unverwackelten Bilder führen müsste. So weit die Theorie. Hat das neue Nokia-Flaggschiff also diesen Kampf gegen seinen (in Handy-Generationen gerechnet) Großvater schon gewonnen, bevor er angefangen hat?
___Der Wettkampf beginnt
Die Sonne ist untergegangen, die Stadt hell erleuchtet. Die Regeln für den Wettkampf sind schnell erklärt: Blitz ist verboten und alle anderen Einstellungen bleiben auf Standard! Ring frei, auf zum Weihnachtsmarkt.
Schon auf dem Weg zum Weihnachtsmarkt bietet sich das beleuchtete Schloss in der Dämmerung als erstes Wettkampf-Objekt an. Bei der parallelen Nutzung beider Geräte bemerkt man natürlich sofort die größten Hardware-Unterschiede: Das N8 ist klein (3,5"), recht dick und, was das Starten von Apps inklusive der Kamera angeht, langsam. Das Lumia 920 ist dagegen einfach nur riesig (4,5"), etwas flacher und mit seinem 1,5-GHz-Dualcore-Prosessor wunderbar schnell.
Leider ist die Geschwindigkeit wie weggeblasen, wenn es nun darum geht, nach dem Starten der Kamera das Motiv scharfzustellen. Hier ist das N8 etwa doppelt so schnell und das viel langsamere Lumia 920 liegt auch etwa doppelt so oft komplett daneben.
Abdrücken und – wow! Das Bild auf dem hochauflösenden selbsternannten HD+-Display des Lumia 920 sieht einfach umwerfend aus und viel besser als das auf dem kleinen niedrig aufgelösten N8-Bildschirm. Dabei ist die Farbbrillanz beider Bildschirme ähnlich gut, auch wenn das 920 eine IPS-TFT- und das N8 eine AMOLED-Technologie verwendet.
Am PC zeigt sich, woran das, abgesehen von der Schärfe des Lumia-Displays, liegt: Die PureView-Kamera hat viel leuchtendere Farben abgebildet (oben) als das Nseries-Gerät (unten).
Die Lumia-Farben sind zwar fast schon etwas zu grell, aber jedenfalls näher am Original als die des N8. Die mit dem Auge wahrgenommene Farbe liegt irgendwo dazwischen. Aber was hat nun der optische Bildstabilisator bewirkt? Schauen wir ins Detail…
Bei voller Auflösung zeigt sich, dass das Bild des Lumia 920 (links) viel klarer und schärfer ist. Beim N8 (rechts) sind dafür die Farben feiner abgestuft, man kann beispielsweise die Diagonale im badischen Wappen etwas besser erkennen. Alles in allem jedoch ein klarer Runden-Sieg für das Lumia 920 in seiner Königsdisziplin. Aber es wird noch dunkler.
___Auf dem Weihnachtsmarkt
Bei diesen Bildern vom Weihnachtsmarkt fällt zunächst einmal wie auch schon beim Schloss auf, dass das Lumia 920 (oben) noch weitwinkliger fotografiert als das ohnehin schon sehr weitwinklige N8 (unten). Das liegt übrigens nicht an den unterschiedlichen Bildformaten (4:3 beim N8 gegenüber 16:9 beim 920), da bei beiden Handys die komplette Sensorbreite ausgenutzt wird.
Vergleicht man die gesamten Aufnahmen miteinander, sieht man diesmal keinen so großen Farbunterschied wie zuvor beim Schloss. Dafür scheint in diesem Fall das Bild des Lumia 920 deutlich heller als das des N8 zu sein. Man ahnt schon, dass das nicht ohne größere Überbelichtung in den helleren Bereichen klappen kann, da der Kontrastumfang digitaler Bilder nun mal leider allgemein stark beschränkt ist.
Wer ins Detail schaut, erkennt genau das: beim 920 (links) sind größere Bereiche überstrahlt als beim N8 (rechts). Aber abgesehen von der in den Einstellungen beider Geräte nach Belieben hoch- und runterkorrigierbaren Belichtung fällt vor allem auf, dass das PureView-Bild keinen Deut schärfer oder klarer ist, als das des zwei Jahre alten N8. Der Bildstabilisator scheint hier keinerlei positiven Effekt erzielen zu können.
Wenn man Motive mit noch höheren Kontrasten wählt, wird klar, wie unterschiedlich die Belichtungsmessung auf beiden Geräten arbeitet.
Mit beiden Geräten wurde die Pyramide in der Bildmitte fokussiert. Das Nokia N8 (unten) zieht nun zur Bestimmung der Belichtung auch nur diesen kleinen mittleren Bildbereich heran und bildet ihn optimal ab. Ob dabei die halbe restliche Bildfläche in Tiefschwarz versinkt, ist völlig irrelevant. Das Lumia 920 nutzt dagegen einen viel größeren Bildbereich zur Belichtungsmessung und sorgt so dafür, dass auch vom Hintergrund noch einiges erkennbar bleibt. Leider passiert es dabei ohne zusätzliche Maßnahmen leicht, dass das eigentliche Motiv falsch belichtet wird und schlimmstenfalls wie hier außer den Umrissen nichts mehr davon zu erkennen ist. Diese unterschiedliche Herangehensweise ist übrigens schon vor dem Auslösen auf beiden Geräten erkennbar: Der Fokus-Rahmen im Sucher nimmt beim N8 etwa 1/25 der Bildfläche ein, beim Lumia 920 ungefähr ein Viertel.
Auch bei diesem Motiv zeigen sich im Detail keine bahnbrechenden Qualitätsunterschiede zwischen beiden Fotografien, auch wenn das Lumia-Foto (links) rauschärmer ist. Die Runde „Weihnachtsmarkt“ bleibt unentschieden und hat vor allem gezeigt, dass man sich beim Nokia Lumia 920 bei Standardeinstellungen nicht auf die Belichtungsmessung verlassen darf.
___Gebäude-Fotografie
OK, das Schloss war auch schon ein Gebäude, aber das war ja noch die Aufwärmrunde in der Dämmerung. Jetzt ist es Nacht.
In dieser Ansicht der Stadtkirche erkennt man, was zu erwarten war: Wieder ist die Lumia-Aufnahme (links) deutlich heller und der Kirchturm scheint etwas überbelichtet. Somit zunächst mal keine großartige neue Erkenntnis.
Die gewinnt man erst, wenn man die volle Auflösung betrachtet: Die Aufnahme des Lumia 920 (links) ist nicht nur überbelichtet, sondern auch unscharf und überraschenderweise zeigen sich starkes Bildrauschen im Bereich des Nachthimmels sowie leichte chromatische Aberrationen an den kontraststraken Kanten. An diesem Ausschnitt gemessen ist das PureView-Foto geradezu grottenschlecht. Das N8 hat den Turm dagegen nur in einem sehr kleinen Bereich überbelichtet, der Nachthimmel ist rauscharm und das Zifferblatt der Turmuhr wurde regelrecht brillant abgebildet.
Erst, wenn es wirklich stockdunkel ist, kann das Lumia wieder fußfassen.
Ein Hochhaus, dessen Umrisse im Stockdunkel mit bloßem Auge kaum vollständig zu erfassen sind – da kommt das Lumia 920 (oben) in Fahrt. Hier gibt es einfach so gut wie nichts, was man überbelichten könnte. Stattdessen stellt das PureView-Gerät sogar noch Wolken dar, wo man sie nicht einmal sehen konnte. Die Aufnahme des N8 (unten) ist nüchterner, es stellt das Motiv etwa so dar, wie man es mit dem Auge wahrnimmt. Insofern kann dem Gerät hier kein Vorwurf gemacht werden.
Im Detail-Vergleich sieht man, dass das Lumia (links) nicht nur ein helleres, sondern auch ein deutlich detailreicheres und auch etwas weniger verrauschtes Bild liefert. Die Gebäudekante ist sauber dargestellt und man kann regelrecht die Platten der Wandverkleidung zählen. Außerdem ist die Aufnahme auch farbneutraler. All das kann man vom N8-Foto (rechts) nicht behaupten. Dennoch ist die Aufnahme nicht gänzlich zu verachten, immerhin man kann durch das Fenster sogar noch die Zimmerdecke erahnen, wo das Lumia 920 wieder einmal nur weiß liefert. Die Fensterkante zeigt, dass auch dieses Bild nicht unscharf ist.
So endet auch die Runde „Gebäude“ ohne einen klaren Sieger. Es bleibt die Erkenntnis, dass auch ein Nokia Lumia 920 PureView Bildrauschen liefert, wenn es nur dunkel genug ist.
___Indoor
Dass das Lumia 920 nicht grundsätzlich alle Bilder überbelichtet sondern nur Probleme mit kontrastreichen Motiven und dunklen Bildbereichen hat, zeigt die abschließende Indoor-Runde in einem Einkaufszentrum kurz vor Ladenschluss.
Auf den ersten Blick wirkt das Foto des Lumia (links) lebendiger, weil hier der Weißabgleich besser geglückt ist. Die N8-Aufnahme (rechts) ist nur wenig dunkler, aber vor allem weniger gelb.
Im Detail aber sieht man auf dem Lumia-Bild (links) Merkwürdiges und Unschönes. Merkwürdig: Zahlreiche Lichter erscheinen rot und einige sogar grün, obwohl hier in Wahrheit überhaupt nichts bunt leuchtet. Unschön: Die PureView-Kamera setzt offenbar auf eine ziemlich harte digitale Nachschärfung der Fotos, wie man beispielsweise im Bereich der Personen und der Rolltreppe im Hintergrund erkennt. Im Foto des Nokia N8 (rechts) sind all diese Probleme nicht zu erkennen, sein Sieg in dieser finalen Runde.
___Siegerehrung
Sicher kann man sich bei dem einen oder anderen Bild streiten, ob meine Bewertungskriterien optimal gewählt sind, und sicher kann man mit den richtigen Einstellungen noch mehr aus der Kamera des neuen Lumia 920 herausholen, aber das war ja gerade die wichtigste Voraussetzung des Wettbewerbs: Alle Einstellungen bis auf den Blitz bleiben auf Standard, denn die allermeisten Nutzer werden in den allermeisten Fällen auch keine Einstellungen verändern. Die Siegerehrung fällt somit leider aus, denn über ein schwaches Unentschieden kommt das Lumia 920 als Kamera gegen das gute alte N8 nicht einmal in seiner Paradedisziplin der Low-Light-Fotografie hinaus.
Auf dem Display des 920 sahen die meisten Bilder überragend aus, ich war begeistert. Aber beim Betrachten am heimischen Monitor trat dann die Ernüchterung ein, weil viele Bilder falsch belichtet sind und der Bildstabilisator offenbar insgesamt keinen Gewinn an Bildschärfe bringt. Die Farben des 920 sind meistens leuchtender, die des N8 dafür oft natürlicher und näher am Original.
Das Lumia 920 PureView kann also nicht an seinem Urahn vorbeiziehen sondern allenfalls WindowsPhone auf eine kameratechnisch ähnliche Ebene wie Symbian befördern. Schön-Wetter-Fotografie kann jeder und sobald der Blitz zum Einsatz kommt, ist das N8 mit seiner Xenon-Leuchte ganz schnell wieder auf und davon.
Somit hat das Lumia-Smartphone in seiner Funktion als Kamera eigentlich nur noch ein einziges Ass im Ärmel:
___Die Video-Qualität
Und hier macht das WindowsPhone (oben) wirklich alles richtig: Die Aufnahme ist durch die Stabilisierung wunderbar wackelfrei, detailreich bis in die dunkelsten Bereiche und auch die Tonspur überzeugt, denn Windgeräusche werden mit drei Mikrofonen ausgefiltert. Lediglich das wiederkehrende Scharfstellen des Autofokus stört etwas, außerdem kann während der Aufnahme offenbar nicht gezoomt werden. Das Symbian-Gerät liefert auch ein ansehnliches Video ab, doch zeigen sich in den dunklen Pflasterbereichen deutliche Artefakte, das Video wackelt etwas mehr und Windgeräusche sind auf der Tonspur teilweise vorhanden. So schlägt das Lumia 920 immerhin im Videobereich das N8 bei Nacht. Das war aber abzusehen, da allen gegenteiligen Werbeaussagen und allen positiven Eigenschaften (wie dem verlustfreien Zoom) zum Trotz Videos nie das Aushängeschild des N8 waren, hier ist die Konkurrenz schon lange besser.
___Hinter der Kamera
Abgesehen von der Kamera bewegen sich die beiden Smartphones in völlig unterschiedlichen Regionen. Auf der einen Seite das Nokia N8, das dem Benutzer nahezu alles ermöglicht, was die Technik hergibt. Nicht selten stößt die Hardware dabei an Ihre Grenzen, gerade was Prozessorleistung, Arbeitsspeicher und die Displayauflösung angeht und häufig ist der Benutzer auch mal eine halbe Stunde am Basteln, bevor er dem Gerät wieder irgendein technisches Kunststück beigebracht hat. Auf der anderen Seite das Nokia Lumia 920, das mit seiner Systemleistung nicht geizt, aber den Benutzer fast genauso einengt wie ein Apple-Gerät. Das fängt an mit dem nicht wirklich ernstzunehmenden Pseudo-Multitasking und führt so weit, dass man sich nicht einmal anzeigen lassen kann, welche Dateigröße ein eben aufgenommenes Video besitzt.
Letztlich muss, wie immer, jeder selbst wissen, was ihm wichtig ist. Für mich bedeutet das, wieder einmal, weitere sechs Monate mit dem N8. Warten auf Jolla.
Weiter: Ein paar Eindrücke vom Nokia E6 Das Nokia E6 ist nicht mehr das neuste Gerät, aber es wird das letzte Symbian-Gerät mit Volltastatur bleiben und das letzte in einer langen erfolgreichen Reihe von Business-Smartphones, die 2006 mit dem E61 eingeläutet...
Zurück: Herausragende Freeware für Nokia N8 ... Wie schon für die bisherigen Symbian-Versionen gibt es auf Bahn87.de natürlich auch für Symbian^3 bzw. Symbian Anna einen Überblick über besonders empfehlenswerte kostenlose Software. Natürlich funktionieren auf den...
Kommentare zu diesem Artikel
[1] Dennis K. schrieb am 25.07.13 22:46 Uhr
Danke für Ihren Vergleich!
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